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Das jüdische Erwerbsleben – Hausierhändler und Bankiers?

Als Abraham Würzburger (1742-1819) im Jahre 1774 mit seiner Frau Jachbet und seinen Söhnen nach Bayreuth kam, war die Berufswahl der Juden noch sehr eingeschränkt. Im Wesentlichen standen ihnen als einzige Erwerbsmöglichkeiten nur der Handel und alle Arten von Geldgeschäften offen. So betätigte sich auch Abraham Würzburger als Schnittwarenhändler, verkaufte also Stoffe nach Maß. Andere Juden handelten mit Vieh oder mit Hopfen oder verkauften als wandernde Hausierhändler üblicherweise allerlei Gegenstände des täglichen Bedarfs. Ein weiteres, spezifisch jüdisches Berufsfeld bot die jüdische Kultusgemeinde. Als besondere Religionsgemeinschaft hatte die Gemeinde Bedarf nach Rabbinern, Vorsängern und Lehrern. Ebenso brauchte man einen eigenen Schlachter, der die Gemeinde mit koscherem Fleisch versorgen konnte. Landwirtschaft, Handwerk und akademische Berufe blieben den Juden hingegen lange Zeit verschlossen.

Das bayerische Judenedikt von 1813 sollte bekanntlich zur Emanzipation der Juden in Bayern führen, wie schon in den vorhergehenden Artikeln erläutert. König und Regierung Bayerns strebten eine „Verbesserung“ bzw. „Erziehung“ der Juden an, was auch bedeutete, dass sie zu einem nützlichen und produktiven Element der Gesellschaft werden sollten. Mit dem Edikt wurde den Juden auf einen Schlag Zugang zu fast allen Berufen gewährt. Besonderes Anliegen der Verfasser des Edikts war die in § 20 geforderte Beendigung des als schädlich empfundenen „Hausier-, Noth- und Schächerhandels“. Um ein sofortiges Verbot handelte es sich hierbei nicht. Wer als Hausierhändler tätig war, durfte damit noch seinen Lebensunterhalt bestreiten. Eine neue Ansässigmachung oder Heirat als Hausierhändler war aber seit dem Edikt nicht mehr möglich. Schon in naher Zukunft sollten alle Juden einen „ordentlichen Beruf“ erlernen, der Hausierhandel sollte aussterben. So simpel war die Angelegenheit aber nicht, das Judenedikt brachte bei weitem nicht die erhofften Ergebnisse.

Werbeanzeigen der Schnittwarengeschäfte J. Würzburger junior und Jacob Würzburger senior. Die Anzeigen listen das breite Sortiment der Händler an Stoffen und Kleidungsstücken auf.

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StadtABT, Bayreuther Zeitung Nr. 271 vom 30.09.1849

Eine Akte über „die Verhältnisse der israelitischen Glaubensgenossen“ in Bayreuth aus dem Jahre 1833 gibt Aufschluss über die Erfolge des Judenedikts zwanzig Jahre nach seiner Verkündung. Von 81 jüdischen Familien in Bayreuth waren zehn immer noch vom „Hausier- und Schacherhandel“ abhängig. Gut die Hälfte, 42 Familien, betrieben „Detailhandel mit ordentlicher Buchführung“, zwei fielen in die Kategorie „Großhändler/Fabrikanten“. Mit 8 Familien hatten sich immerhin gut zehn Prozent der Juden im ordentlichen Gewerbe bzw. Handwerk etabliert. Der Einstieg der Juden in die Handwerksberufe gestaltete sich nicht einfach. Da sie bislang ausgeschlossen gewesen waren, gab es keine jüdischen Handwerksmeister. Es blieb den Juden also nichts anderes übrig, als bei christlichen Meistern in die Lehre zu gehen. Diese verlangten von jüdischen Lehrlingen aber ein höheres Lehrgeld, da ihnen durch die jüdischen Feiertage zusätzliche Arbeitstage entgingen.

Eine weitere Akte gibt einen Einblick in die „Verhältnisse der israelitischen Kultusgemeinde Bayreuth“ im Januar 1910. Mittlerweile waren fast 100 Jahre seit Beginn der Emanzipation der Juden vergangen, im Deutschen Kaiserreich waren sie seit 1871 offiziell mit allen anderen deutschen Bürgern gleichgestellt. Der Stadtmagistrat berichtete, dass die jüdische Gemeinde v.a. aus „Händlern mit Detail- und Engrosgeschäften, Güter- und Viehhändlern“ bestand. Das allgemeine Urteil des Stadtmagistrats lautete: „Die Mehrzahl befindet sich in sehr guten Vermögensverhältnissen, nur verschwindend wenige sind auf irgend welche private Unterstützungen angewiesen.“ Der Verfasser wollte die Verhältnisse zunächst als „sehr“ gut bezeichnen, strich das Wort im Originaldokument dann aber durch. Jedenfalls kann man davon ausgehen, dass es den Bayreuther Juden zu Beginn des 20. Jahrhunderts finanziell allgemein gut ging. Obwohl ihnen andere Berufsfelder schon seit Generationen offenstanden, waren die Juden zu einem großen Teil weiterhin im Handel tätig.

Foto des Geschäfts J. Würzburger junior am heutigen Sternplatz Ecke Richard-Wagner-Straße vom Beginn des 20. Jahrhunderts. Das Geschäft gehörte zu dieser Zeit zwar nicht mehr der Familie Würzburger, der Betrieb wurde aber durch die späteren Besitzer unter gleichem Namen fortgesetzt.

Blick auf den Sternplatz
StadtABT, Postkarte Sternplatz

Die Familie Würzburger war, was die Berufswahl betraf, eine typisch jüdische Familie des 19. Jahrhunderts. Der erste Bayreuther Würzburger, Abraham, war wie bereits erwähnt Schnittwarenhändler. Sein ältester Sohn Isaak (1762/4-1826) wurde ebenfalls Händler. Er verkaufte allerdings keine Stoffe, sondern Möbel und gemäß Anzeigen in der Bayreuther Zeitung „auch Piano-Forte und Guitarren“. Abrahams jüngere Söhne Jacob (1775-1846) und Elkan (1778-1860) folgten hingegen dem Beispiel des Vaters und führten zunächst eine gemeinsame Schnittwarenhandlung. Später eröffnete jeder seinen eigenen Laden. Isaaks Sohn Leopold (1811-1884) eröffnete seine Schnittwarenhandlung 1842. Siegmund (1815-1867) und Moritz Würzburger (1826-1893) führten nach dem Tod ihres Vaters Jacob dessen Geschäft zusammen mit ihrer Mutter Philippine unter dem Namen „Jacob Würzburger senior“ weiter. 1854 eröffnete Siegmund seinen eigenen Laden, während Moritz das väterliche Geschäft übernahm. Jacobs ältester Sohn Isaac (1812-1883) übernahm das Schnittwarengeschäft seiner Schwiegereltern Samelson und benannte es in „Jakob Würzburger junior“ um, wahrscheinlich um an die Bekanntheit seines Vaters als Händler anzuknüpfen.

Karte Bayernatlas mit Verortung Geschäfte Würzburger
Geobasisdaten: Bayerische Vermessungsverwaltung, CC BY-ND 3.0 DE (https://creativecommons.org/licenses/by-nd/3.0/de/), Markierungen bzw. Namen wurden nachträglich vom Verfasser eingefügt

Eine Karte der Bayreuther Innenstadt aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Die Geschäfte der Familie Würzburger sind farblich hervorgehoben und mit Namen versehen. Es wird deutlich, dass die Geschäfte eine ausgezeichnete Lage mitten in der Innenstadt hatten.

Jacob Würzburgers Sohn Moritz ist hier von besonderem Interesse. Laut Judenkataster hatte er 1854, als er das Familiengeschäft übernahm und eine eigene Matrikelstelle erhielt, ein Vermögen von 3.000 Gulden. Bis 1863 hatte er sich 15.000 Gulden zusammengespart und wollte sein Unternehmen weiterentwickeln, indem er eine Kleiderfabrik eröffnete. Er dachte dabei sehr fortschrittlich und orientierte sich an Großstädten wie München und Berlin. In seinem vom jüdischen Advokaten Dr. Arnheim verfassten Gesuch an den Stadtmagistrat argumentierte er mit dem Zeitgeist. Die Menschen würden nicht mehr Stoffe, Knöpfe, Futter und sonstige Materialien für ihre Kleidung bei verschiedenen Händlern einzeln einkaufen und dem Schneider zur Verfertigung geben wollen. Stattdessen gebe es Bedarf nach fertigen Kleidungsstücken. Der Verkauf von Hemden in fertigem Zustand sei nunmehr Standard. Die Eröffnung der Fabrik wurde nach Protesten der ansässigen Schneidermeister letztlich erlaubt, womit Moritz zur Gruppe von nur etwa einem Dutzend Fabrikanten in Bayreuth gehörte.

Am 8. April 1863 verfasste der Anwalt Dr. Arnheim ein Gesuch um eine Fabrikkonzession für Moritz Würzburger. Aus diesen Seiten geht hervor, dass Moritz sein Geschäft nicht mehr für zeitgemäß hielt. Er meinte, es müsse seinen Handel durch die fabrikmäßige Produktion fertiger Kleidungsstücke ergänzen, wenn er sich nicht von der Zeit überholen lassen wollte.

[StadtABT, Nr. 20352: Gesuch Moritz Würzburgers um eine Fabrikkonzession]

Juden waren trotz der Emanzipation und der Aufhebung der Beschränkungen für die Berufswahl weiterhin sehr oft im Handel tätig und auch die Familie Würzburger brachte viele Schnittwarenhändler hervor. Nicht wenige Juden ergriffen aber die neuen Chancen und erschlossen neue Berufsfelder. Auch dafür kann die Familie Würzburger als hervorragendes Beispiel dienen. Julius Würzburger (1818-1876) studierte an der Universität Erlangen, wurde Journalist und 1848 Redakteur der Bayreuther Zeitung. Nach seiner Auswanderung in die USA war er bei der New-Yorker Staatszeitung tätig. Eugen Würzburger (1858-1938) studierte zuerst deutsche und romanische Philologie, dann Volkswirtschaft und wurde zu einem bedeutenden deutschen Statistiker. Von 1902 bis 1923 war er Direktor des Sächsischen Statistischen Landesamts, von 1919 bis 1927 ordentlicher Professor für Statistik an der Universität Leipzig. Er trug den Titel Geheimrat und war Herausgeber des Deutschen Statistischen Zentralblattes.

Viele Juden legten großen Wert auf Bildung und wurden Akademiker. Eine ordentliche Professur zu erlangen, gestaltete sich aber lange Zeit schwierig. Der ebenfalls aus Bayreuth stammende Jude Dr. Jakob Herz (1816-1871) erhielt seine Approbation als Arzt im Jahre 1842. Trotz seiner herausragenden Leistungen wurde Dr. Herz erst 1863 zum außerordentlichen Professor an der Universität Erlangen. Seine nichtjüdischen Kollegen verweigerten ihm bis 1867 die ordentliche Professur für Chirurgie, da sie ihm dieses Prestige nicht gönnen wollen.

Simon Würzburger (1816-1895) studierte ebenfalls Medizin, wurde Arzt und richtete eine Privatheilanstalt für „gemüths- und geisteskranke Israeliten“ in Bayreuth ein. Sein Sohn Albert (1856-1938) folgte ihm auf diesem Weg und leitete zusammen mit seinem Vater das Sanatorium Herzoghöhe. Alberts Sohn Otto (1888-1957) führte die familiäre Tradition fort, wurde ebenfalls Arzt und arbeitete in der Anstalt mit, genauso wie seine Schwestern Emma (1887-1969) und Anna (1893-1938). Alberts Sohn Karl wurde Rundfunkjournalist und Schriftsteller. Den Ärzten der Familie Würzburger und Karl Würzburger sind jeweils eigene Artikel in dieser Reihe gewidmet.

  • Bartholomäus, Christine: Von Emanuel Osmund bis Hilde Marx. Biographische Skizzen zu ausgewählten jüdischen Persönlichkeiten aus Bayreuth, in: Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit (Hg.): Jüdisches Bayreuth, Bayreuth 2010, S. 105–118.
  • Habermann, Sylvia: Juden im Erwerbsleben. Kaufleute und Gewerbetreibende vom späten 18. bis zum frühen 20. Jahrhundert, in: Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit (Hg.): Jüdisches Bayreuth, Bayreuth 2010, S. 167–176.