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Karl Würzburger und sein Einsatz für Kultur und Bildung in Bayreuth

Dr. Karl Würzburger (1891-1978) war das für die Geschichte Bayreuths vielleicht bedeutendste Mitglied der Familie Würzburger, den meisten Bayreuthern ist er heute aber leider nicht mehr bekannt. Geboren wurde Karl am 10. März 1891 in Bayreuth als Sohn des angesehenen Arztes und Magistratsmitglieds Dr. Albert Simon Würzburger. Nach dem Schulbesuch am humanistischen Gymnasium Christian-Ernestinum begann er 1910 sein Studium der Medizin. Karl tat dies auf Wunsch seines Vaters, der ihm aber nach zwei Semestern erlaubte, das Fach zu wechseln. Später war es Karls Bruder Otto, der zum Nervenarzt wurde und in die Fußstapfen des Vaters Albert im Sanatorium Herzoghöhe trat. Karl hingegen studierte in den folgenden Jahren Philosophie, Volkswirtschaftslehre und Kunstgeschichte in Leipzig, Jena und Marburg.

Noch während seines Studiums trat das Deutsche Reich am 1. August 1914 in den Ersten Weltkrieg ein. Karl meldete sich schon zu Kriegsbeginn freiwillig zum Heer, da er es nicht ertragen konnte, seine Freunde ohne ihn an die Front ziehen zu sehen. Bei der Musterung wurde er aber mit einem Körpergewicht von nur 91 Pfund als zu leicht abgewiesen. Erst als er sich 1916 erneut meldete, wurde er als Fernmelder Teil des 10. Feldartillerie-Regiments und verbrachte insgesamt 16 Monate an der Westfront. Nach dem Krieg kehrte er nach Marburg zurück und beendete 1919 seine Doktorarbeit mit dem Titel „Individualismus und Sozialismus. Abriß einer Grundlegung von Wirtschaft, Politik und Erziehung“. Hier wird schon eines von zwei Themen deutlich, die Karl Würzburger im weiteren Verlauf seines Lebens sehr am Herzen lagen: die Erziehung.

Ein Foto Karl Würzburgers vom Sommer 1943. Zu dieser Zeit befand sich Karl mit seiner Familie im Exil in der Schweiz und verdiente seinen Lebensunterhalt u.a. als Schriftsteller.

StadtABT, NL Pöhner: Foto Karl Würzburgers 1943
StadtABT, NL Pöhner: Foto Karl Würzburgers, 1943

1920 heiratete Karl seine evangelische Studienfreundin Emilie von Vogelsang (1888-1955) und zog mit ihr nach Berlin, wo ein Jahr später ihr einziges Kind, Renate Würzburger, geboren wurde. In Berlin war Karl immer wieder kurzfristig in unterschiedlichen Berufen tätig, u.a. arbeitete er in einer Bank und in der Reichszentrale für Heimatdienst. Nebenbei begann er seine schriftstellerische Tätigkeit und war seit 1921 Mitglied des Schutzverbands Deutscher Schriftsteller, wo er große Persönlichkeiten wie Theodor Heuss und Alfred Döblin kennenlernte und sogar Vorstandsmitglied wurde. 1926 veröffentlichte Karl dann sein erstes Buch „Pädagogik. Briefe über die Erziehung in Schule und Haus“. Dieses Werk zeigt erneut sein Interesse für Erziehung und war bereits wenige Monate nach Veröffentlichung ausverkauft.

1927 wurde der Rundfunk auf Karl aufmerksam. Der Radiosender Deutsche Welle bot ihm an, eine Reihe von pädagogischen Vorträgen im Radio zu halten. Das war der Beginn einer ersten dauerhaften Berufstätigkeit für Karl. Schnell zeigte sich, dass er ein absolutes Naturtalent im Umgang mit dem Mikrofon war. Er wusste das neue Massenmedium meisterhaft zu nutzen und konnte Inhalte vermitteln wie kein anderer. Das galt offenbar nicht nur für seine Zuhörerschaft, sondern auch für seine Kollegen im Rundfunk. Ganz im Sinne der ihm so wichtigen Bildung und Erziehung wurde er – laut eigener Aussage „als erster auf dem Kontinent“ – 1929 zum Dozenten für Mikrophonie an der Rundfunkversuchsstelle der Staatlichen Hochschule für Musik in Berlin. Dort gab er seine Kenntnisse und Erfahrungen an die nächste Generation von Rundfunksprechern weiter. Bereits im März 1928 wurde er Mitglied der Programmleitung der Deutschen Welle, ab April dann zusätzlich Redakteur der Programmzeitschrift des Senders.

Die Machtergreifung Adolf Hitlers setzte Karls Karriere ein abruptes Ende. Im März 1933 verlor er durch das Berufsverbot seine Anstellung bei der Deutschen Welle und musste mit Frau und Tochter in seine Heimatstadt Bayreuth zurückkehren. Ohne eigenes Einkommen konnte er sich zunächst nur mit der Hilfe seines Vaters über Wasser halten. Im September 1933 bot sich ihm allerdings ein erster Lichtblick: er knüpfte Kontakte zum Internationalen Institut für Mikrophonforschungen in Paris, es begann eine wissenschaftliche Kooperation. Über diese Institution trat er auch in Austausch mit dem Schweizer Rundfunk. Aus beruflichen Gründen reiste er in der Folgezeit mehrmals nach Paris und Basel und hielt als international anerkannter Rundfunkexperte wissenschaftliche Vorträge. Diese Vernetzung mit dem Ausland rettete Karl womöglich das Leben.

Am 21. Januar 1936 wurden den Bayreuther Juden die Reisepässe entzogen. Noch am selben Tag verfasste Karl ein Schreiben, in dem er um die Rückgabe seines Passes bat, da Auslandsreisen für das Überleben seiner Familie unentbehrlich waren. In seiner Heimat war ihm seine Arbeit ja durch die Nationalsozialisten verboten worden. Tatsächlich wurden ihm berufliche Reisen auch prinzipiell erlaubt, nur sollte er in jedem Einzelfall einen Nachweis liefern, dass die Reise unbedingt nötig war. Eine konkrete Gelegenheit zur Ausreise bot sich ihm schon bald: die Radiogenossenschaft Basel lud ihn zu einem Vortrag in der Reihe „Gespräche mit einer Mutter“ Ende März ins Studio nach Basel ein. Daraufhin legte Karl dem Bayreuther Polizeiamt ein Exemplar der Programmzeitschrift vor, in dem sein Vortragstermin eindeutig ausgewiesen war und erhielt am 28. März seinen Reisepass für die Dauer des Aufenthalts in der Schweiz zurück.

In diesem Brief [StadtABT, Nr. 20380, 3 Seiten] ersuchte Karl Würzburger um die Rückgabe seines Reisepasses. In den letzten Absätzen macht er deutlich, dass er den Interessen Deutschlands nie geschadet und sich nur wissenschaftlich und künstlerisch im Ausland betätigt habe. Außerdem verteidigt er sich damit, Träger des Ehrenkreuzes deutscher Frontkämpfer zu sein.

Als Karl nach einigen Wochen nicht aus der Schweiz zurückkehrte, zeigte sich der Kriminaloberkommissar der Stadt Bayreuth offensichtlich besorgt, dass dieser sich abgesetzt hatte. Karl schrieb zwar am 12. Mai 1936 aus Läufelfingen im Baselland, dass sein nächster Vortrag im Schweizer Radio bereits im Juni sei und er erst danach die Heimreise antreten würde. Tatsächlich sollte Karl nicht mehr ins nationalsozialistische Deutschland zurückkehren. Seine Frau Emmy reiste 1936 mehrmals zu ihrem Mann in die Schweiz, offiziell ebenfalls, um Vorträge im Radio zu halten. Sie kehrte aber jedes Mal zurück nach Bayreuth. Karls Frau und Tochter siedelten erst 1937 und 1938 dauerhaft in die Schweiz über.

In der Schweiz vollzog Karl einen weiteren sehr wichtigen Schritt in seinem Leben. Am 1. Advent 1936 ließ er sich taufen und trat zum evangelischen Glauben über. Er war zwar nie tüchtiger Synagogengänger gewesen, das heißt aber nicht, dass er mit der Taufe seine jüdische Herkunft hinter sich lassen wollte. Er scheint den Übertritt zum Christentum persönlich als einen logischen Schritt verstanden zu haben. Der christliche Glaube wurde fortan zu einem zentralen Bestandteil seines Lebens.

In der Schweiz arbeitete Karl im Radio und als Journalist, zudem verfasste er mehrere Bücher. Sein Werk „Der Angefochtene“ über den Schweizer Pädagogen Johann Heinrich Pestalozzi verschaffte ihm beim Schweizer Publikum einen Namen. Daneben veröffentlichte er 1944 „Erziehung nach dem Evangelium“ und 1945 seinen Roman „Im Schatten des Lichtes“, der eindeutige Bezüge zu seiner eigenen Biographie aufweist. In dem Buch flieht ein Jude vor der NS-Verfolgung in die Schweiz und konvertiert schließlich zum Christentum, genauso wie Karl.

Im Sommer 1936 wollte Karls Ehefrau Emy zu ihrem Mann in die Schweiz reisen. Obwohl sie nie politisch aufgefallen war und ihr „arische Abstammung“ bescheinigt wurde, sprach sich der Kriminaloberkommissar gegen die Aushändigung des Reisepasses aus. Der durchgestrichene Satz im Text lautet: „Eine staatsabträgliche Betätigung im Ausland erscheint daher nicht ausgeschlossen“.

Nach dem Weltkrieg kehrte Karl 1948 auf Einladung des Bayreuther Oberbürgermeisters Oscar Meyer in seine Heimatstadt zurück. Er wurde zum Leiter des Kulturamtes und der Volkshochschule in Bayreuth. Mit seinem lebenslangen Engagement für Bildung war Karl praktisch prädestiniert für diesen Posten. In der nach dem Krieg am Boden liegenden Stadt legte er entscheidende Grundsteine für das Wiederaufleben der Kultur. Er begründete u.a. das Internationale Jugendfestspieltreffen, den Stadtjugendring und die Fränkischen Festwochen. Nur dank ihm wurde das Markgräfliche Opernhaus nicht zum reinen Museum, wie es die Bayerische Schlösserverwaltung im Sinn hatte. Bis heute finden noch musikalische Veranstaltungen in diesem geschichtsträchtigen Gebäude statt. Die wohl größte Bedeutung hatte Karl aber für die Wiederaufnahme der Bayreuther Festspiele. Durch seine Kontakte in der Welt des Rundfunks schaffte er es, eine Bezuschussung der ersten Nachkriegsfestspiele durch die ARD zu organisieren, ohne die eine Wiederbelebung der Festspiele kaum möglich gewesen wäre. Außerdem unterstützte er Wieland und Wolfgang Wagner und plädierte dafür, die Festspiele in der Hand der Familie Wagner zu belassen. Damit setzte er sich gegen Oberbürgermeister Meyer und den bayerischen Kultusminister Hundhammer durch, die der Komponistenfamilie die Leitung der Festspiele entreißen wollten.

Trotz der düsteren Vergangenheit der ehemaligen Gauhauptstadt Bayreuth, auf die hier nochmal hingewiesen sei, entschied sich Karl Würzburger für eine Rückkehr und erwies seiner Heimatstadt große Dienste im Bereich der Kultur und Bildung, die bis heute nachwirken. Sein wissenschaftlicher Nachlass wird in der Universitätsbibliothek Bayreuth aufbewahrt.

  • Akte StadtABT 20380 Paßangelegenheiten Karl Würzburger und Ehefrau Emmy.
  • Nordbayerischer Kurier vom 15.11.1978, 9./10.3.1991 und 6.12.1994.

Würzburger, Karl: Im Schatten des Lichtes, unveränderter Nachdruck der 1945 im Pan-Verlag Zürich erschienenen Erstausgabe. Mit einem Nachwort von Rainer-Maria Kiel, Bayreuth 1997